Eine Fibel über bewusstes Design & Analoges Materialarchiv / Region Hamburg

Beitragende:
Forschung: 
Sarah Prien
Nicole Kiersz
Mone Unmüssig

Layout: 
Luca Koning


Dies ist die Online Version des analogen Startbündels, welches entwickelt wurde, um Designy, die neu zur House of All Community sind, eine Einstiegshilfe zu geben.
(Gedruckt auf Graspapier 300g/m2, Daler Rowney Recycled Paper 120g/m2
Herausgegeben durch HOUSE OF ALL; November 2023)


Willkommen in der Welt der Maker & der House of All Community!

Schön, dass Du mitkommen möchtest auf unsere Reise hin zu gemeinsam getragener Nachhaltigkeit.

Diese kleine Fibel ist eine Ressourcensammlung und soll als Starthilfe dienen, um bei House of ALL, und darüber hinaus, Deine Ideen auf neuartige Weise zu verwirklichen.

Wir möchten Dir eine Einstiegshilfe in dieses Feld mit an die Hand geben, und einige Denkanstöse mit auf den Weg.


Unser Heft beansprucht keine wissenschaftliche Vollständigkeit, sondern skizziert kurz die wichtigsten Themen. Es bietet Hinweise, um dich in die Zukunft zu navigieren.

Als aufstrebender Designy hast du die Gabe und Verantwortung, mit den bereitgestellten Werkzeugen neue Ideen und Lösungen ko-kreativ zu entwickeln und die Welt zu entwerfen. (vgl. F. v. Borries)

Am Ende findest du ein Glossar, Links und Literaturempfehlungen. Diese sind eine Momentaufnahme und laden dich ein, im Laufe deiner Entwicklung eigene Erfahrungen beizutragen.

Teil 2 enthält Dokumentationen (Anleitungen) für unsere Maschinen, die du in vielen Labs weltweit findest, und Produkte, die Du selbst herstellen kannst.

Zu diesem Heft gehört ein lokalspezifischer Teil, der im Zuge unserer Forschung entstanden ist:

Teil 3 präsentiert regionsspezifische Materialien und Muster. Du kannst eigene Materialien hinzufügen (siehe Kapitel 6).


Einleitung


400 Mrd. Qm Textilien werden jährlich weltweit produziert

60 Mrd. Qm davon sind ungenutzter Verschnitt

1% der Textilien wird in neue Textilien weiterverarbeitet

1 von 6 Menschen arbeitet in der Textilindustrie



Aktuell stehen wir vor so umfangreichen Herausforderungen, dass wir kaum wissen, wie wir ihnen begegnen sollen. Als Designy tragen wir große Verantwortung, die Dinge sinnstiftend zu entwerfen. Bestenfalls haben wir die Fähigkeit, diesen mit Innovationskraft zu begegnen, nachhaltige Lösungen zu finden.

In der Vergangenheit wurden wir angehalten, Probleme zu isolieren und jeweils Lösungen zu diesen zu finden. Dabei wurde die Komplexität der Sache außer Acht gelassen, das gesamte System nicht gesehen, und isolierte Pseudo-Lösungen waren die Folge. (vgl. https://www.ellenmacarthurfoundation.org/adaptive-strategy-1-systems)

Die Aufgabe von gutem Design ist es, ein System zuerst aus der Vogelperspektive abzubilden, um die Abhängigkeiten und Verbindungen an die Oberfläche zu bringen. Nur so können sich sinnvolle Kollaborationen finden, und wir vermeiden halbgare Lösungen im Alleingang.

Wenn wir Synergien bilden, können sich gemeinsam mit Spezialisten, beispielsweise aus der Naturwissenschaft, neue Materialien finden, die überraschend gut funktionieren. Ein Überschuss an „Abfallmaterial“ vom Restaurant um die Ecke kann erforscht werden, und nutzbar gemacht.

Zur Umsetzung werden Fertigungsmittel benötigt. Die Art, wie wir produzieren, möchten näher betrachtet werden. Waren es vormals die Ingenieure selbst, die eine Maschine entwarfen, so wurde mit steigender Komplexität ein Designy unabdingbar. In Zusammenarbeit mit ihnen können wir den Problemen der Massenfertigung durch die Neuentwicklung von digital getriebenen Maschinen innovativ begegnen. Wenn die Produktion wieder näher an die Menschen, die die Dinge nutzen, rückt, entsteht eine andere Verbindung zum Produkt.


Die folgenden Kapitel enthalten Denkanstösse und verweisen auf weitere Quellen, um verantwortungsvoll mit an der Transformation wirken zu können.



Deine Vision ist das Ticket, dieses Startpaket Dein Fahrplan…


Viel Spaß auf Deiner Reise!

P.s. Vergiss nicht, Fotos zu machen – Dokumentation ist alles!




Sarah Prien




Über die Herausgeberin


ALL, house of (maison de) – Alle sind Designy


House of All, gegründet 10/2020 von Sarah Prien (geb. Bürger), hat sich zum Ziel gesetzt, lokale kreislauffähige Mode und Textilien bezahlbar und zugänglich zu machen. Dabei bedient sie sich der Werkzeuge, die in diesem Bündel angerissen werden.

House of All (H’ALL) kann als holistische Agentur verstanden werden, die die Transformation hin zu kleinen lokalen Ökosystemen, welche ihre Bedürfnisse an Kleidung und Textilien gemeinschaftlich decken, unterstützt.

H’ALL befasst sich ganz konkret mit Handlungen der Bereiche DESIGN, WEAR und CARE. H’ALL unterstützt Menschen beim Prozess der Designentwicklung für lokale Produktion, und kreislauffähige Produkte. Dazu betreibt House of All einen Makerspace, die HALL4CRCLRTY. Zudem bietet H’ALL unterschiedliche Bildungsformate und betreibt Forschung rund um die Themen Circular Design, Lokale Fertigung und Nachhaltigkeit in Textilien.


Mehr auf https://wearall.clothing


Das Team


Sarah Prien – Design, Forschung, Geschäftsführung

Nicole Kiersz – Forschung, Lab

Luca Koning - Layout

Mone Unmüssig – Forschung

Torben Spieker – UI/UX, IT Admin




1. WERT

Was ist Dein Wert? Wie lässt er sich messen?


Werte bilden die Grundlage jedes Designprozesses, aus denen Entscheidungsparameter abgeleitet werden sollten. Zu Beginn deiner Entwicklung als Designer:in mögen diese Werte teils unreflektiert sein. Es ist jedoch entscheidend, sie zu reflektieren und zu formulieren, um die Rahmenbedingungen für den Designprozess festzulegen.

Das Konzept der Wertschöpfung, ursprünglich aus der Betriebswirtschaftslehre stammend, bezieht sich nicht nur auf den monetären Differenzwert, sondern auch auf den immateriellen Nutzen in der Volkswirtschaftslehre. Die Frage nach dem geschaffenen Wert und der Wertigkeit ist entscheidend. Universelle Werte wie der Erhalt des Planeten sind existenziell, doch es ist wichtig zu überlegen, ob die Menschheit im Mittelpunkt der Schöpfung steht oder Teil eines Gesamtgefüges ist.

Individuelle Werte müssen auch gesellschaftlich kontextualisiert werden. Die Beteiligten an der Schöpfung, einschließlich nicht-menschlicher Akteure wie der Umwelt, müssen identifiziert und priorisiert werden.

Die Erfolgsmessung der Wertschöpfung erfordert klare Metriken. Beispiele dafür könnten die Herkunft, CO2-Emissionen, Wasserverbrauch und Landnutzung sein. Die Respektierung der Rechte aller Menschen kann durch Metriken wie Arbeitsbedingungen und Lohn gemessen werden. Das Vermeiden überflüssiger Produktion erfordert die Messung von Nutzungshäufigkeit und Pflegemaßnahmen.

Die Suche nach einer Methode zur Messung des Impacts der eigenen Arbeit ist komplex, und es ist wichtig zu erkennen, dass dies eine fortlaufende Reise ist. Werte dienen als Kompass in diesem Prozess. Schlussendlich ist es entscheidend, sich ständig zu fragen, ob die Welt das entworfene Produkt braucht, welchen Wert es hinzufügt und ob es ein echtes Problem löst oder nur Symptome behandelt.(vgl. Im Bereich immaterieller Werte wird die Diskussion besonders spannend.

Die Herausforderung, speziell im Sektor Textil, besteht darin, den Wert und den Preis einer Sache zu entkoppeln, den Ressourcenverbrauch zu minimieren, während Werte geschaffen werden. Dabei geht es eben nicht ausschließlich um das Wachstum des BIP, sondern vor Allem das von immateriellen Werten.

Dr. Akinwumi Adesina, Präsident, Afrikanische Entwicklungsbank-Gruppe

„Wie wir Wohlstand messen, bestimmt, wie wir ihn suchen und was wir belohnen. Der herkömmliche Ansatz, das BIP zur Messung des Wohlstands heranzuziehen, hat zu einem erheblichen Wachstum geführt, allerdings auf Kosten der Umwelt und der Lebensqualität. Niemand atmet oder isst BIP. Wir müssen unser Wohlstandskonzept ändern, um die Natur zu berücksichtigen. Das Wachstum muss um die negativen Auswirkungen auf die Umwelt, die Gesundheit und die Artenvielfalt bereinigt werden. Wenn wir den Wohlstand richtig messen und dabei die Natur berücksichtigen, werden wir bessere Hüter des Planeten sein. Auch wenn COVID19 uns alle überrascht hat, müssen wir aus der Erfahrung lernen und sicherstellen, dass wir unseren Nationen helfen, sich besser zu erholen, und zwar durch einen grünen Erholungspfad, der auch die Widerstandskraft gegen künftige Pandemien stärkt. Wir können dies tun. Investitionen in die Wiederherstellung und den Erhalt unseres kollektiven Naturkapitals haben das Potenzial, sich schnell zu rentieren. Daher schließe ich mich den Ansichten von Professor Dasgupta in dieser Hinsicht voll an. Es ist höchste Zeit, dass wir Wachstum anders aufbauen und messen.“

(https://www.gov.uk/government/publications/final-report-the-economics-of-biodiversity-the-dasgupta-review/the-economics-of-biodiversity-the-dasgupta-review-reactions)

Kate Fletcher schreibt in ihrem Earth Logic Manifesto dazu, dass es wichtig sei, zu verstehen, dass die Kreislaufwirtschaft innerhalb des bestehenden Systems nach Lösungen suche, und weiterhin das monetäre Wachstum in den Mittelpunkt stelle, ganz im Sinne bestehender Handelspraktiken. Angesichts der dringlichen Lage müssten wir jedoch einsehen, dass ein systemischer Wandel unabdingbar sei, und die alte Praxis bestenfalls nicht mit dem Wandel zu zirkulärer Wirtschaft zirkuliert würde. (Fletcher, K. and Tham, M. (2019). Earth Logic Fashion Action

Research Plan. London: The J J Charitable Trust. isbn 978 1 5272 5415 2)





2. BEWUSSTES DESIGN


In diesem Abschnitt wird Dir eine Einführung in verantwortungsvolle Designpraxis geboten. Der Titel beinhaltet absichtlich nicht den Begriff „Circular Design“, da dieser nicht umfassend genug wäre.

Es ist wichtig zu verstehen, dass ein Designy nur seiner Verantwortung gerecht wird, wenn ein Dispositiv an Grundlagen herbeigezogen wird. Das britische Design Council empfiehlt daher den Ansatz des Systemischen Designs, und wir, in der Makerwelt, möchten den Begriff des Distributed Design als Praxis hinzufügen.

Circular Design beschreibt insofern nicht das blosse Gestalten eines Objekt oder einer Sache, sondern bezieht sich auf ein ganzes System.

Es macht also Sinn, mit dem Abbilden des Systems zu beginnen. Da kein System abgeschlossen ist, kannst Du eine Grenze ziehen um den Bereich, der für Dich maßgeblich ist

"Es gibt keine getrennten Systeme. Die Welt ist ein Kontinuum. Es gibt keine einzige legitime Grenze, die man um ein System ziehen kann. Wir müssen Grenzen erfinden, um Klarheit und Vernunft zu schaffen; und Grenzen können zu Problemen führen, wenn wir vergessen, dass wir sie künstlich geschaffen haben. Wo wir eine Grenze um ein System ziehen, hängt vom Zweck der Diskussion ab - von den Fragen, die wir stellen wollen", sagt Donella Meadows, Umweltwissenschaftlerin und Systemdenkerin.
Meadows, D. Denken in Systemen: Eine Fibel (2008)

Du findest im Schlussteil einige gute theoretische Ressourcen zu diesem Thema, wir möchten uns hier in diesem Heft auf die angewandte Praxis konzentrieren, ein wichtiger Bestandteil des System Design Ansatzes, der häufig außer Acht gelassen wird.

Ein Objekt allerdings ist emergentes Artefakt eines komplexen Systems.


Einen guten Startpunkt zum Verständnis bietet das 9R Framework, es zeigt welche Vehikel Treiber der Transformation hin zu einer Kreislaufwirtschaft sein können und ordnet diese dem zu erwartetenden Erfolg nach ein.

Wenn Du genau hinschaust, fällt auf, dass wir uns mit aktuellen Gegegbenheiten noch immer im unteren Teil aufhalten, dem Recycling.


SKIZZE 9 R Potting et al 2017)



Um für den Kreislauf entwerfen zu können, bieten sich verschiedene Strategien an, und Du findest online eine Menge an Frameworks, die Dir dabei helfen. Im Schlussteil zählen wir die wichtigsten Ressourcen auf.


Nachdem Du Deine Parameter gefunden hast, ist es an der Zeit, in die Recherche zu gehen und sich mit der Anwendung dieser in Bezug auf Material, Formgebung, Fertigungsmethode und Vertrieb auseinanderzusetzen, um letzendlich ein konkretes Produkt hervorzubringen, dass die Welt braucht.


https://www.ellenmacarthurfoundation.org/adaptive-strategy-1-systems


https://ddc.dk/projects/the-mission/#


3. OPEN SOURCE –

Distributed Design


Seit einem Jahrzehnt etwa entwickelt sich die Open Source Bewegung unentwegt weiter. Was innerhalb der Softwareentwicklung Gang und gebe ist, wird mittlerweile vermehrt im Bereich Hardware umgesetzt:

Der Code, die Informationen, die es braucht, um eine Funktion zu erreichen, wird nach Prinzipien der Open Source in einem sogenannten Repository hinterlegt, mit automatisierter Versionskontrolle, und der Option, die aktuelle Version zu ändern, beizutragen oder ganz etwas Neues daraus entstehen zu lassen.

Open Source geht jedoch über die angewandte Praxis der Teilhabe hinaus und umfasst eine ganze Denkschule.

Gerade in der Welt der Mode ist diese wenig etabliert. Ko-Kreation, Inklsuion und Kollaborationen sind wichtige Treiber für Veränderung. Ideen preisgeben, um sicherzugehen, dass nicht in kleinen Nischen doppelt entwickelt wird, und sich Insellösungen bilden, führt viel weiter. Wir rücken dem Wir näher, und entfernen uns vom Ich.


Das alles lässt sich in einem Wort beschreiben:

Ko-Kreation - die wohl wichtigste Grundlage für Innovationen dieser Zeit.

Distributed Design beschreibt diesen Prozess der Kokreation von Produkten, von Hardware, aber auch von Systemen. Dabei wird der Entwurfsprozess ko-kreativ umgesetzt.

Als Designy haben wir meist während unseres Studiums gelernt, unsere eigene Schöpferkraft zu formen, und unsere individuelle Handschrift zu finden. Aller Wahrscheinlichkeit nach, speziell im Bereich Mode, wurde die Individualität so weit entwickelt, dass der Vergleich, die Sorge um Nachahmung und der Wettbewerb Dir mitunter schlaflose Nächte bereitet haben. Vielleicht hast Du bereits das Gefühl gehabt, Deine Arbeit sei nicht gut genug und Du hast vermieden, sie zu präsentieren. Oder Du hast die Arbeit einer Kommilitonin als Duplikat Deiner persönlichen Ideen empfunden.

Sei unbesorgt, Du bist nicht allein. Dennoch ist es gut, dass andere dieselben Gedanken hegen und sich mit ähnlichen Themen auseinandersetzen.

Es ist sogar von größter Bedeutung. Nur, wenn genug Menschen an einer Idee arbeiten, wird sie so gut, dass sie Bestand haben kann.


Wir brauchen Distributed Design, um die Wende hin zu einer schonenden Wirtschaft zu erreichen.


Grundlage des Distributed Design ist Transparenz, um einen gemeinsamen Prozess zu ermöglichen.

Du gibst also die technischen Informationen frei, die nötig sind, um den Entwurf zu begreifen.

Dass an Deinen Entwirf auch ganz persönliche Elemente geknüpft sind, so persönlich, dass es schwer fällt, sie freizugeben, ist sehr verständlich. Diese individuelle Komponente kann Dir niemand nehmen, sie sind ein wichtiger Beitrag.


(Hier könnten wir einen Ausflug in das Entstehen einer neuen Seinsperspektive machen, und uns mit dem Thema Resonanz befassen, das machen wir an anderer Stelle. Du findest ein paar Empfehlungen zum Thema im Schlussteil.)


Um möglichst inklusive Prozesse der Ko-Kreation entstehen lassen zu können, brauchen wir ein standardisiertes Format für das Ablegen dieser Informationen.

Hierzu eignen sich sogenannte Repositories, die auf einer Datenbank, dem Git, kreiert werden. Diese beinhalten eine automatische Versionskontrolle, so dass jegliche Änderungen sichtbar sind.

Für Textilien gibt es einige Beispiel, House of All hat ein eigenes Git auf gitlab.com, jedoch ist es eine komplexe Aufgabe und wir arbeiten stetig weiter daran.

Zum Beispiel würde man den Schnitt eines Kleidungsstückes ablegen, zusammen mit den Produktionsanleitungen und der BoM, sobald diese sich aber ändert, ändert sich auch der Schnitt.


Grober Aufbau Repository


Anleitung (Wozu ist das Repo, wie kann ich beitragen?)

Lizenz (wer darf sich dessen bedienen, unter welchen Bedingungen?)

Assembly (wie stelle ich das betreffende Produkt her?)

Bill of Materials (was brauche ich für die Herstellung?)

Source Files (CNC Dateien, Schnitt usw)


Indem die Daten online abrufbar sind, können Menschen überall auf der Welt diese bei sich vor Ort nutzen. Sie können günstigen Zugriff auf Design haben, auch um sie zu testen, und Verbesserungen einpflegen, oder lokalspezifische Varianten (abhängig von vorhandenen Materialien oder Maschinen).

Dieses Prinzip der kosmo-lokalen Fertigung vermeidet eine Menge CO2.

Es erfordert allerdings auch einen tiefen Blick in die ökonomischen Modelle: Wie verdienen Designy Geld mit ihren Entwicklungen, wenn sie diese freigeben und auf globalen Vertrieb von Hardware verzichten?

Diese Frage ist lange nicht abschließend gelöst, und bedarf ebenso ko-kreativer Prozesse. Es gibt bereits einige Ansätze, die sich Blockchain-Technologie zunutze machen. Klar ist, wir müssen uns hin zu Suffizienzmodellen bewegen, und unsere Bedürfnisse neu evaluieren. Auch hierzu findest Du im Schlußteil ein paar Empfehlungen, schau gerne einmal rein.

Die Wahl der Fertigungsmethode spielt übrigens auch eine große Rolle:

Du möchtest den Lasercutter für den Zuschnitt zu verwenden, dessen Bett bei nur 40x60cm liegt.

Entwirf ein Teil, dessen Schnitteile in diesen Bereich passen.



https://www.thersa.org/globalassets/reports/2021/changing-fashion-towards-a-regenerative-future.pdf


MATERIAL

Mehr Materialismus, bitte!


"Uns wird oft gesagt, wir seien materialistisch. Mir scheint, wir sind nicht materialistisch genug. Wir haben eine Geringschätzung für Materialien. Wir verwenden sie schnell und unachtsam.
Wenn wir wirklich materialistische Menschen wären, würden wir verstehen, woher die Materialien kommen und wohin sie gehen.
Aber im Moment scheint die gesamte Weltwirtschaft auf dem Modell aufgebaut zu sein, Dinge aus einem Loch im Boden auf der einen Seite der Erde auszugraben, sie um die Welt zu transportieren, sie ein paar Tage zu benutzen und sie dann in ein Loch im Boden auf der anderen Seite der Welt zu versenken."
- George Monbiot


Die Materialauswahl ist entscheidend für den Lebenszyklus des Produkts und kann ein Schlüsselfaktor für systemische Veränderungen sein. Die Verantwortung jeder Materialentscheidung, unter Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus, ist erheblich.

Auch das System des Materials ist wichtig: PET-Flaschen können zu Polyesterfasern verarbeitet werden, was kurzfristig sinnvoll erscheint. Jedoch entsteht nach der Neufertigung Mikroplastik, und die Lösung könnte die weitere Rohölextraktion für PET-Flaschen rechtfertigen. Eine Marke, die behauptet, 70% aus PET-Flaschen herzustellen, lässt Fragen zur restlichen 30% und zum Recycling offen.

Eine aktuell verfügbare Lösung löst unter Umständen ein akutes Problem, wirkt sich aber an anderer Stelle negativ auf das System aus. Es ist also unabdingbar, genau hinzuschauen und sich mit Material auseinanderzusetzen.


Für die Gestaltung der Fab City lohnt es sich, lokale Materialien zu erkunden. Das Fablab Barcelona hat aus Abfällen lokaler Restaurants Leder aus Orangen entwickelt. Kaffeesatz eignet sich als Plastikalternative oder für Seife. Empfehlungen für Recherche und Experimente findest du im Schlussteil sowie Anleitungen in Teil II und der Materialbibliothek in Teil III.


„Wir müssen weg vom Extraktivismus und hin zu einem System, das den Planeten respektiert und in engem Kontakt mit Natur und Umwelt steht. Wir sollten uns als Hüterinnen der Erde verstehen.“

(Dies reflektiert die persönliche Ansicht der Herausgeberinnen des Bündels, und ist als Empfehlung zu verstehen. Damit sind wir nicht allein, Du findest weitere Stimmen dazu über die Empfehlungen im Schlussteil.)


Im Rahmen der Kooperation mit der HSU im Forschungsprojekt „Fab City“, gefördert von d.tec-bw und der EU (NextGen), haben sich Nicole Kiersz und Mone Unmüssig speziell mit dem vorhandenen Material Wolle befasst. Dies resultierte in einem analogen Materialarchiv, das in ko-kreativen Workshops erstellt wurde und Teil III des Ressourcen-Bündels bildet. Weitere Informationen zu den Workshops findest Du im Schlussteil über den bereitgestellten Link. Wir laden Dich ein, eigene Materialmuster zu dieser Sammlung beizutragen, Teil II enthält Anleitungen zur Erstellung von Musterkarten. Die Entwicklung eines digitalen Zwillings dieser Muster ist derzeit in Arbeit. Deine Teilnahme an diesem Prozess ist willkommen, um das Archiv nützlich und zugänglich zu machen. Das Ziel ist es, regionale Materialien zugänglich zu machen und deren Anewendung zu fördern.



Schwerpunkt Material:

Text: Nicole Kiersz

AP3 D.tec.bw/ EU Next Gen „Fab City Hamburg“


Vom Schaf zum Stoff: die erste greifbare Frischfaser- Lösung für die FabCity Hamburg



Für eine erfolgreiche FabCity, die Güter produzieren soll, ist der Zugang zu regionalen Werkstoffen entscheidend. Die Versorgung mit textilen Produkten bis 2054 erfordert die Suche nach und Förderung von bereits vorhandenen Materialien sowie die Erforschung und Entwicklung neuer. Die Etablierung von Kreislaufpraktiken wie Reparatur und Recycling ist unbestritten. Trotzdem wird eine FabCity nicht umhinkommen, auch auf kreislauffähige Frischfasern zurückzugreifen. Der aktuelle Forschungsauftrag konzentriert sich auf die Fertigung von Bekleidung für Freizeit, Wohlfühlen und Business, was eine breitere Materialrecherche nach regionalen, kreislauffähigen Rohstoffen einschließen konnte. Diese sollten für die ersten Forschungshandlungen in größerer Menge und standardisierter Form verfügbar sein, um eine Replizierbarkeit im Kontext der distributiven Fertigung zu ermöglichen.


Im Rahmen der FabCity Hamburg ist die gegenwärtige Verfügbarkeit von textilen Materialien begrenzt. Dennoch birgt dieser Bereich erhebliches Potenzial für Faserinnovationen, die jedoch spezifische Projektgruppen, Zeit, institutionelle Unterstützung und finanzielle Mittel erfordern. Das laufende Forschungsprojekt stößt bereits an seine Kapazitätsgrenzen und kann nicht alle textile Potenziale im Detail behandeln und anwenden. Dieses Paper soll daher Einblicke in einen spezifischen textilen Rohstoff geben, der bereits hohes Potenzial für eine regionale Produktionsstraße hat und auf den bereits zugegriffen werden kann.


Das Ziel dieses Dokuments ist nicht, alle potenziellen Faserquellen aus Hamburg und der Region im Detail zu erörtern, da dies den Rahmen sprengen würde. Vielmehr geht es darum, auf einen bestimmten, greifbaren Rohstoff aufmerksam zu machen, der eine wesentliche Grundlage und Stellschraube für die Entwicklung einer vollständig regionalen Produktionskette für textile Flächen darstellt. Die Informationen und Erkenntnisse, die in diesem Dokument präsentiert werden, basieren, sofern nicht anders angegeben, auf persönlichen Gesprächen mit Akteur*innen, die in der Industrie tätig sind, Schafe halten oder Labels für Garne führen. Eine immer wiederkehrende Einstiegsfrage ist gewesen:
Was braucht es um wieder regiolokal produzieren zu können?


Schafschurwolle in Deutschland: Eine Betrachtung der aktuellen Situation


Schafschurwolle ist ein sehr konkreter und spezifischer Rohstoff, der für Hamburg bereits jetzt eine wichtige Rolle spielt und theoretisch (!) erste Produkte nach den FabCity-Kriterien entstehen lassen könnte. Allerdings gilt dies nur, wenn die 50 km Umkreis-Grenze ausgeweitet wird, da sich die essentiellen Produktionsschritte wie Wäscherei, Krempelei/Kardiererei, Spinnerei, Färberei usw. (noch) nicht in diesem Umkreis befinden. Die wichtigsten Akteur*innen und Rohstofflieferanten, die Schafe, sind jedoch schon präsent. Sei es auf Deichen in der Küstennähe im Hamburger Umland, in Hamburg selbst in den Boberger Dünen oder vereinzelt in kleinen Herden auf der Wedeler Au.


In der Welt der Textilindustrie gibt es eine Vielzahl von tierischen Fasern, die unterteilt werden in Schafschurwolle, feine Fasern von Tieren wie Kamelen, Mohairziegen oder Angorakaninchen sowie Seide. Innerhalb dieser Gruppe stellt Schafschurwolle die größte Kategorie dar. Wenn im Textverlauf über Wolle als Faser gesprochen wird, bezieht sich der Begriff hauptsächlich auf die Wolle vom Schaf. Feine Fasern aus regionalen Quellen wie z.B. Alpakafasern spielen eine eher untergeordnete Rolle in der Gesamtproduktion, sollten jedoch langfristig im FabCity-Kontext ebenfalls Beachtung finden.


Es ist wichtig zu betonen, dass Schafschurwolle aus Deutschland auf dem globalen Fasermarkt nur eine geringfügige Bedeutung hat und allgemein wenig Beliebtheit in der Bekleidungsindustrie genießt. Es gibt zwar Ausnahmen, aber sie sind nicht bedeutend genug, um einen wesentlichen Einfluss auf den Weltmarkt zu haben. Deutsche Wolle findet zur Zeit ihren Absatz vor allem in der Baubranche, wird entsorgt oder von den Schäfer*innen eingelagert mit der Hoffnung auf bessere Zeiten auf dem Wollmarkt.


Im Jahr 2020 betrug die weltweite Produktion von textilen Fasern insgesamt 109 Millionen Tonnen. Es ist interessant festzustellen, dass Wolle lediglich einen Anteil von 1,09 Millionen Tonnen dieser Gesamtproduktion (Kategorie Frisch- und Recyclingfaser) ausmacht. Im Vergleich dazu dominierte Polyester mit einem Marktanteil von 57,08 Millionen Tonnen die Faserproduktion und belegte den ersten Platz, gefolgt von Baumwolle mit 26,48 Millionen Tonnen Marktanteil1. Die Schafe, die für diesen Faseranteil von 1,09% verantwortlich sind, werden hauptsächlich in Australien, Neuseeland, China, Südamerika und Südafrika gezüchtet. Diese Länder bestimmen daher den Weltmarkt in Bezug auf Preis und Qualitätsstandards. Europa und Deutschland spielen in diesem Kontext eine untergeordnete Rolle und sind kaum relevant. Dies kann unter anderem durch die bevorzugte Faserqualität erklärt werden, die von modernen Industriemaschinen reibungsloser verarbeitet werden kann und auch von den Endverbraucher*innen, die ein weniger kratziges Produkt bevorzugen2. Die Bevorzugung feinerer Wollfasern lässt sich insbesondere anhand der Micronzahl nachvollziehen, einer Einheit, die die Feinheit der Fasern angibt. Je niedriger die Micronzahl ist, desto feiner ist die Faser und desto weniger kratzig wird sie wahrgenommen - wobei es auch hier subjektive Empfindungen in einem Spektrum gibt. Australische, neuseeländische und südamerikanische Merinofasern haben eine Micronzahl von 15 bis 24, während europäische Merinofasern zwischen 26 und über 30 pendeln, was spürbar gröber ist. In unseren Breitengraden und klimatischen Bedingungen benötigen Schafe diese gröberen Micronzahlen aufgrund von Wind, Regen, Feuchtigkeit und Kälte, sowohl in den Küstenregionen als auch in den Bergen. Das Fell schützt die Schafe auf natürliche Weise vor den rauen Witterungsbedingungen. Australische Schafe, insbesondere die Rasse der Merinoschafe, hingegen leben das ganze Jahr über bei trockenen, warmen bis heißen Temperaturen auf der Weide, wodurch die Fasern feiner werden und auf dem Weltmarkt gefragter sind.

Seit den 80er Jahren wurde die regionale Wolle in Deutschland spürbar verdrängt - neben der ganzen Verlagerung der Textilindustrie in den außereuropäischen Raum, der Etablierung synthetischer Fasern und - was nicht nur zum Verlust zahlreicher Arbeitsplätze führte, sondern auch zu einem drastischen Rückgang der Preise für ein Kilogramm Rohwolle. Dennoch werden Schafe bis heute für die minimalinvasive Landschaftspflege eingesetzt und beweiden unsere Deiche, die vor Überschwemmungen schützen und für eine Biodiversität sorgen. Die jährlich anfallende Wolle durch die Schur der Schafe ist nicht viel mehr wert als 30-80 Cent pro Kilo bei alten Schafrassen wie Heidschnucke, Steinschaf oder Leineschaf und etwa 1 Euro pro Kilo bei Merinolandschafen, die in Europa die feinste Wollqualität bieten.3 Diese Preise sind aktuell nicht wettbewerbsfähig für regionale Schafhalter*innen, die zudem mit zusätzlichen Ausgaben für die Schur ihrer Tiere konfrontiert werden; eine fachgerechte Schur eines Schafes kostet etwa 3-4 Euro. Ein erheblicher Teil der Rohwolle wird entsorgt, günstig nach China verschifft für die Dämmstoffproduktion oder findet in begrenztem Umfang den Weg in die Weiterverarbeitung zu Garn und Flächen, wie es z.B. bei den Garnlabels von Elbwolle/Vauno und Mährlewolle der Fall ist, die als geographisch nächste textile Rohstoffquelle zu Hamburg im AP3 als Pilotprodukt zu einer Gastrodecke verarbeitet wurden.


Zusammengefasst ist die industrielle Infrastruktur zur Herstellung von Garn und textilen Flächen aus Schafwolle in Deutschland - mit Lücken - noch vorhanden, jedoch in überschaubarer Anzahl an Spinnereien, Färbereien, Wirkereien und Webereien. Der Verkauf von Spinnereien und Unternehmensaufgaben hält an, was auch mit sich bringt, dass relevantes textiltechnisches Wissen in Deutschland stetig verloren geht und die Industrie jetzt schon nur noch eingeschränkt funktioniert. Wenn wir in diesem Bereich Resilienz und Unabhängigkeit beibehalten möchten - auch im Sinne der Umsetzung einer FabCity - muss es zur Stärkung dieses Sektors kommen durch Innovationen und mehr Dialogstrukturen zwischen Forschung, Industrie, kleineren Betrieben und Schafhalter*innen. Denn die Industrie, die noch in Deutschland produziert, bevorzugt australische Merinowolle, um einen reibungslosen Produktionsablauf an ihren Maschinen zu gewährleisten, denn auf diese Feinheiten wurden die Maschinen eingestellt. Es braucht jetzt aber mehr Mut und Zusammenschluss für Ideen, wie wir unsere wilderen lokalen Fasern verspinnt bekommen, wie es schon einmal möglich gewesen ist, ohne dieses Vorhaben zu romantisieren.


Die Lücken der regiolokalen Wertschöpfung schließen


In der deutschen Textilindustrie zeichnen sich Bewegungen zur Wiederbelebung regionaler Wollfasern ab. Gespräche mit verschiedenen Akteur*innen haben gezeigt, dass es engagierte Gruppen in Deutschland gibt, die sich für eine Renaissance der regionalen Schurwolle einsetzen. Diese Akteur*innen lassen sich grob in zwei Interessengruppen einteilen: Die erste Gruppe besteht z.B. aus professionellen Schafhalter*innen, Lohnspinner*innen, Designer*innen im Bereich Slow Fashion oder ökologischer Inneneinrichtung, Architektur, Forscher*innen, Landschaftspfleger*innen und Hobbyschäfer*innen. Sie sind in locker organisierten Gruppierungen, im Einzelkampf, über Vereine oder Zuchtverbände aktiv. Die zweite nennenswerte Interessengruppe ist die Deutsche Wollvereinigung, die unter dem Dach der IWTO (International Wool Textile Organization) agiert. Diese Interessengruppe setzt sich vor allem aus Akteur*innen der deutschen Textilindustrie zusammen und trägt dazu bei, dass Deutschland 40% seines Produktionsvolumens exportieren kann.4 Neben der IWTO ist auch Sachsenlein e.V. ein wichtiger Akteur mit personellen Überschneidungen zur Deutschen Wollvereinigung, der an Bildungs- und Forschungseinrichtungen sowie ausgewählten Unternehmen angegliedert ist und neben anderen textilen Innovationen auch im Bereich regionaler Schurwolle aus Sachsen forscht.


Ende April 2023 hatten die House of All UG und die FabCity Hamburg Initiative die Möglichkeit, das Forschungsprojekt in Tirschenreuth (Tuchweberei Mehler in Bayern) bei der Tagung der Deutschen Wollvereinigung vorzustellen. Neben der Möglichkeit zur Vorstellung des Forschungsvorhabens und erster Ergebnisse haben sich auch für uns Möglichkeiten ergeben, ein erstes Bild davon zu bekommen, was die deutsche Textilindustrie und Wirtschaft bewegt und auch hindert, regionale Schurwolle einzukaufen und zu verarbeiten. Denn der wertvolle Rohstoff Schurwolle fällt in Deutschland jährlich an, und dessen ist sich auch die Deutsche Wollvereinigung bewusst: 1,5 Millionen Schafe im Jahr 2022 lieferten ca. 6-7000 Tonnen Vlies. Das ergibt umgerechnet ein Potenzial für etwa 1,16 Millionen Pullover jährlich. 5 6 Im Laufe der Forschungs- und Recherchezeit im Rahmen des AP2, in Gesprächen mit diversen Akteur*innen und auch während des Treffens der Deutschen Wollvereinigung, haben sich zwei entscheidende Herausforderungen herauskristallisiert, die das Vorhaben regionaler Wolle bis heute hemmen: eine fehlende Wollwäscherei in Deutschland und die variierende Faserqualität, zum Beispiel innerhalb einer Charge, die zu komplizierter industrieller Weiterverarbeitung führen kann.


Wollwäscherei


Die letzte deutsche Wollwäscherei schloss ihre Tore im Jahr 2009. Aktuell müssen Schafhalter*innen, die ihre Wolle waschen lassen möchten, dies in Ländern wie Belgien, Polen, Tschechien oder der Region Tirol tun. In Deutschland fällt unbehandelte Wolle unter die Kategorie des Sondermülls (K3-Material, tierisches Nebenprodukt). Das bedeutet, dass sie ohne Einhaltung von Auflagen nicht transportiert und weiterverarbeitet werden darf und auch auf eigene Kosten der Schafhalter*innen entsorgt werden müsste.

Die Interessengruppe, bestehend u.a. aus Schäfer*innen, die das Fehlen einer Wollwäscherei in Deutschland beklagt, versucht in Eigeninitiative und mit begrenzten finanziellen Mitteln voranzukommen. Das Bestreben dieser Gruppe wird vor allem durch die Tatsache angetrieben, dass ihre Rohwolle von kleinen Schafherden in großen Wäschereianlagen oft keine professionelle Reinigung erhalten können. Die Mindestmenge für eine Wäsche liegt oft bei mehreren hundert Tonnen, während kleine Herden in der Regel darunter liegen.


Wollmengen unter 10 Kilo können vielleicht noch im eigenen Garten mit Regenwasser gewaschen werden, aber dieser Prozess ist weder wirtschaftlich noch qualitativ so hochwertig wie eine professionelle Reinigung. Abgesehen davon befindet sich diese Handlung in einer rechtlichen Grauzone aufgrund der Qualifizierung als Sondermüll.

Trotzdem gibt es kleine Unternehmen, die das Waschen von Rohwolle anbieten, jedoch mit sehr schwankender Qualität, die den industriellen Standard nicht immer erreicht, da diese oft noch zu viele Verunreinigungen und Lanolin enthält. Ein gutes Beispiel für eine kleine funktionierende Produktion ist die Kleine Spinnerei in Springe/Niedersachsen, die auch selbst waschen kann, allerdings nur in Mengen von 2-3 Kilo pro Waschgang und dank einer landwirtschaftlichen Betriebslizenz, da auf dem Hof der Spinnerei Schweine und Kaschmirziegen gehalten werden.


In der Schweiz, die in vielen rechtlichen Fragen anders als EU-Länder funktioniert, ist die Frage nach der Wollwaschanlage kein Thema. Es gibt Anlagen, die fähig sind, die ausgewaschenen Stoffe zu filtern und entsprechend auch so aufzuarbeiten, dass diese wiederverwertet werden können, wie z.B. das rausgewaschene Wollfett. Eine kleine Menge an verteilten Wollwäschereien in der EU fängt den Bedarf auf, Wolle für die Weiterverarbeitung zu textilen Produkten zu waschen. Das Auftragsvolumen ist groß und die Wartezeiten betragen aktuell zwei Jahre.


Es wird deutlich, dass eine Wollwäscherei in Deutschland dringend benötigt wird. Die Herausforderung besteht darin, wer diese Wäscherei baut und wer gesicherte Waschplätze erhalten wird und wer nicht. Wenn sich das Netzwerk und die Akteur*innen der deutschen Wollvereinigung durchsetzen, ist zu erwarten, dass die Industrie wieder nur mit großen Mengen arbeiten wird. Das bedeutet, dass kleine Rohwollmengen kaum eine Chance haben, gewaschen zu werden, und die wichtige Arbeit von Schafhalter*innen in kleinen Landschaftspflegeprojekten nur begrenzte Möglichkeiten hat, Wolle aus eigener Produktion anzubieten. Als Gegenpol wäre die Etablierung von deutschlandweit verteilten Wollwäschereien, die fähig sind, kleinere Mengen zu waschen.


Standardisierung der Vermessungs und Klassifizierung:
Problem der variierenden Faserqualität

Während der Tagung der Deutschen Wollvereinigung wurde deutlich, dass neben dem Fehlen einer Wollwäscherei auch die heterogene Faserqualität (Micron, Farbe und Länge) der deutschen Schafe eine Herausforderung darstellt. Viele Schafherden sind zu klein, und die Qualität der Wolle von Herde zu Herde kann durch ungünstige Kreuzungen der Tiere untereinander sehr stark variieren. Dies erschwert die Arbeit der Wolleinkäufer*innen und setzt sie einem unternehmerischen Risiko aus; der Handel mit standardisierter außereuropäischer Ware ist zur Zeit sicherer und risikoärmer.


Unterstrichen wurde die unterschiedliche Faserqualität und herausfordernde Verarbeitung am Beispiel aus der Spinnerei Forst, die durchaus fähig ist, regionale Schurwolle zu feinem Garn zu verarbeiten, dies aber ungern macht. Der Grund liegt darin, dass die ungleich verteilten Fasern und Faserlängen die Spinnmaschinen zum Stehen bringen, durch das Reißen des gesponnenen Fadens im Prozess. Das neue Verbinden der Fasern und das Starten der Maschinen kostet den Betrieb wertvolle Zeit und Geld, was im Normalbetrieb nicht leistbar ist, und die Zusammenarbeit mit Unternehmen wie die von Elbwolle/Vauno für eine attraktive Garnfeinheit von Nm 18/2 nach wie vor rar ist. Gröbere Qualitäten mit einer Garnstärke z.B. um Nm 1,9 ist weniger Herausfordernd und eine gängige regiolokale Garnstärke.


Ein weiterer vielversprechender Ansatz besteht darin, das Wissen über faserfreundliche Haltung und Züchtung zu intensivieren, um die Qualität insgesamt zu verbessern. Die Schur der Schafe ist ein weiterer Faktor, der erheblichen Einfluss auf die weiteren Verarbeitungsprozesse hat. Eine Schur ist ein körperlich anstrengender Prozess, der aktuell nicht attraktiv vergütet ist. Dementsprechend ist es im Interesse der Scherer*innen, so viele Schafe wie möglich in kurzer Zeit zu scheren. Dies bedeutet aber, dass die besonders wertvollen Körperstellen (lange Faserlänge) der Schafe nicht sauber geschoren werden und auch unattraktive Stellen (zu kurze Faserlänge), wie das Hinterteil, Hals und Beine, nicht gut aussortiert werden.


Ebenso macht es einen Unterschied, ob die Schur direkt auf dem Boden im Stall oder Feld stattfindet oder mit einer entsprechenden Unterlage, die verhindert, dass sich noch mehr Äste, Heu, Kot und anderer Schmutz verfängt. Je mehr Schmutz das Vlies aufweist, desto aufwendiger ist der Reinigungsprozess, und desto unattraktiver wird verschmutzte Wolle für die Wäscherei, Kardiererei und Spinnerei; das Risiko für unterbrochene Spinnprozesse steigt, je mehr Verunreinigungen sich im Vlies befinden.


Der nächste Schritt ist, für einheitliche Klassifizierungsprozesse zu sorgen und die Etablierung gewisser Standards, mit einer entsprechenden Dokumentation und Archivierung schon beim Verpacken der Schurwolle in die BigPacks, die den Handel erleichtern.



Ausblick: Handlungsbedarf

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass ein enormes Potenzial für die regiolokale Schafschurwolle besteht und zwei aktive Interessengemeinschaften sich auf politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene für die Revitalisierung dieses vernachlässigten Bereichs der deutschen Textilindustrie einsetzen. Die erste deutsche Wollwäscherei ist eine naheliegende und dringliche Maßnahme, um die umfassende Verarbeitung von Schafschurwolle zu ermöglichen. Dies sollte unter Einsatz modernster technologischer Standards im Hinblick auf Energie- und Wasserverbrauch erfolgen, mit der Möglichkeit zur Weiterverwendung des gefilterten Abwassers und Fetts, wie dem Lanolin, um eine nachhaltige Produktion in der Region zu gewährleisten.

Es ist entscheidend, aktive Initiativen und Unternehmen auf politischer Ebene zu stärken, die den Bau und Betrieb einer solchen Wollwäscherei übernehmen können. Gleichzeitig ist es unerlässlich, geregelte Waschplätze sicherzustellen, um kleinen Schafherden die professionelle Reinigung ihrer Wolle zu ermöglichen. Diese Maßnahmen sind von großer Bedeutung, da sie die Grundlage für eine nachhaltige und effiziente Verarbeitung von regionaler Schurwolle schaffen.


Eine intensivere Vernetzung zwischen der Deutschen Wollvereinigung und relevanten Akteurinnen, wie Schäfer*innen und Zuchtverbänden, ist erforderlich, um gemeinsame Ziele effektiver zu verfolgen. Diese Zusammenarbeit kann dazu beitragen, Synergien zu schaffen und die Bemühungen für eine nachhaltige Entwicklung der regionalen Wollindustrie zu verstärken. Ein weiterer wichtiger Schritt besteht darin, gezielte Kooperationen zwischen Schafhalter*innen, kleineren Wollverarbeitungseinrichtungen und der Textilindustrie aufzubauen. Durch diese partnerschaftliche Zusammenarbeit können gemeinsame Lösungen für die bestehenden Herausforderungen gefunden werden.


Um die Qualität der Schurwolle zu fördern, ist es von entscheidender Bedeutung, Schulungen und Informationsveranstaltungen für Schafhalter*innen zu intensivieren. Entscheidende Institutionen werden die deutschen Zuchtverbände sein, deren Fokus verstärkt auf Rassemerkmalen für die Fleischindustrie liegt. Das Ziel ist es, Empfehlungen für faserfreundliche Haltung und Züchtung zu vermitteln, um die Gesamtqualität der Wolle zu verbessern. Der Wissensaustausch über professionelle Schafschurpraktiken sollte gefördert werden, um sicherzustellen, dass sehr gute Faserqualitäten durch eine korrekte Schur erhalten bleiben.


Auch sollten kleinere Wollmengen für die Industrie attraktiver werden und die Einführung von Förderprogrammen oder Anreizen in Erwägung gezogen werden. Diese Maßnahme soll sicherstellen, dass auch geringere Mengen regionaler Schurwolle eine realistische Chance haben, auf dem Markt Fuß zu fassen und somit die vielfältige Arbeit von Schafhalter*innen in Landschaftspflegeprojekten zu unterstützen.


Die Bewegungen zur Wiederbelebung regionaler Wollfasern in der deutschen Textilindustrie zeigen, dass es eine engagierte Gruppe von Akteurinnen gibt, die sich für die Renaissance der regionalen Schurwolle einsetzt. Trotz dieser positiven Entwicklungen stehen die Herausforderungen einer fehlenden Wollwäscherei und variabler Faserqualität im Vordergrund. Durch den Aufbau einer Wollwäscherei, verstärkte Vernetzung der Akteurinnen, Bildung und Qualitätssicherung in der Schafschur sowie gezielte Fördermaßnahmen können bedeutende Fortschritte erzielt und die Attraktivität regionaler Schurwolle gesteigert werden. Für das Vorhaben der FabCity Hamburg ist ein naheliegendes Projekt, interessierte Schäfer*innen aus der Region zusammenzubringen und eine Produktionsstraße (von der Faser bis zum Garn) zu entwickeln und langfristig zu etablieren. Dies erfordert im Idealfall den Bau einer OpenSource Wollwaschanlage für kleine bis mittlere Kapazitäten und der Platzierung kleiner Spinnereien innerhalb der FabCity Hamburg und Region, nach dem Vorbild der kanadischen Belfast Mini Mills.7, die über den prototypischen Status der HILO Spinning Machine anwendbares Material produzieren können.

Solange nicht die Etablierung einer textilen Produktionsstraße mit der Idee der OpenSource-Technologie, Werten und bedarfsgerechter Ökonomie innerhalb der FabCity Hamburg angedacht und beispielsweise in einer Anschlussforschung umgesetzt wird, wird der Werkstoff Textil für die FabCity Hamburg weiterhin von anderen deutschlandweit verteilten Standorten der Industrie abhängig sein und sein Ziel der lokalen Produktion nicht erreichen - egal, ob es sich um kreislauffähige Frisch- oder Recyclingfasern handelt.

1https://textileexchange.org/materials-dashboard/

2Stell dir vor, du stehst vor einer Wahl: ein grober, kratziger Pullover oder ein feiner, leichter. Intuitiv entscheidest du dich wahrscheinlich für den feinen Pullover, da allein die Vorstellung des Groben und Kratzigen auf deiner Haut unangenehm erscheint. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass die Feinheit oder Grobheit der Fasern nicht zwangsläufig Rückschlüsse auf die Qualität, artgerechte Tierhaltung oder umweltfreundliche Produktion zulässt.

3https://greenup-magazin.de/ist_schurwolle_aus_deutschland_nichts_mehr_wert/

4https://www.politische-bildung.nrw.de/themen/infoseite-strukturwandel-textil-und-bekleidungsindustrie#:~:text=Trotz%20des%20Strukturwandels%20ist%20die,Produktion%20auf%20den%20internationalen%20Markt.

5https://iwto.org/sheep/

6https://de.statista.com/statistik/daten/studie/163426/umfrage/entwicklung-des-schafbestands-in-deutschland-seit-1900/

7https://minimills.net/



Sarah Prien 20. November 2023
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